Psychologische Spielchen
Im Gegensatz zum Real-Poker kann man im Internet seine Gegner nicht über
die Mimik, Gestik, Körperhaltung oder andere Anzeichen "lesen" und es fällt
somit schwerer die Spieler am Tisch einzuschätzen. Trotzdem man ein
vermeintlich steriles und nichts sagendes Tablescreen hat, kann man an den
Reaktionen der Gegner und durch eigene Spielfacetten sehr viel am Tisch
bewegen – vornehmlich sollte dies Chips (bzw. Geld) sein, welche zu uns
kommen. Eine gute Möglichkeit das Spiel nicht nur auf solide Auswahl
der Hände und gesundes Setzverhalten zu beschränken, sind kleine
psychologische Spielchen.
Hierzu gibt es eine ganze Reihe von Literatur und Anregungen, aber auch
aus eigener Erfahrung ist man in der Lage einen reichhaltigen Schatz
aufzubauen. Im Folgenden will ich hier fünf Möglichkeiten aufzeigen.
1. Exaktes Time-Play
In der Regel hat man für den eigenen move pre/post-flop, nach Turn und River
eine bestimmte Zeit zur Spielentscheidung. Man kann davon ausgehen, dass
in einer Vielzahl von Fällen der Gegner bei schnellen Checks entweder nichts
hat oder eine gute Hand slow-play spielt, wobei es sich meistens um den
ersten Fall handelt. Spielt er hingegen mit längerer Bedenkzeit, dann sollte
man durchaus von einer gefährlicheren Spielsituation ausgehen. Ohne die
Zeitwahl-Szenarien zu pauschalisieren, bekommt man über die aktive
Spielbeobachtung schnell ein Bild über die Reaktionszeiten der Gegner
und hat damit einen Wissensvorsprung. Was man nun nicht möchte, ist
genau die umgedrehte Situation, der Gegner kann mich an meinem Setzverhalten,
bezogen auf die benötigte Zeit, auslesen. Darum spiele ich bei SnG's,
MTT's und am Cash-Table prinzipiell immer eine feste Sekundenstruktur. Diese
kann z.B. immer 10 Sekunden betragen und wird ab der ersten Hand, selbst
beim FOLD durchgespielt.
Der Vorteil ist klar, ob ich eine starke Hand halte oder einen Bluff
spiele, der Gegner sieht es nicht an meiner Setzgeschwindigkeit.
2. Fishplaying in den ersten Runden
Besonders bei SnG's, wo die Gegner nicht schnell beim ersten Gewinn den
Tisch wieder verlassen können, hat sich dieses Psychospielchen bewährt.
Kaum ein Spieler am Tisch vergisst ein unheimlich blödes Spiel in den ersten
Runden, wenn man z.B. mit 72o seine Hand spielt oder einen anderen Bluff
durchzieht. Grundlegend ist, dass man diese Hände dann präsentiert und
eine passende Bemerkung an die Tischnachbarn via Chat als Würze hinzu gibt.
Wichtig bleibt, vom anfänglichen Stack nicht zuviel riskieren (max. 5-10 %),
denn auch diese Spielweise birgt ein Risiko, nämlich genau dann, wenn man
gegen eine sehr starke Hand läuft. Bluffs sollten daher nur gegen einen
Gegner gespielt werden!
Beispiel: Am 10er SnG sitzt man in später Position in den ersten Runden des
Turniers. Man hält J4o und es sind nur zwei Spieler reingelimpt. Ein kleines
Raise vertreibt die Blinds und einen der Limper, nur ein Gegner bleibt.
Nach dem Turn checkt er und wir erhöhen um den halben Pot. Er steigt aus
und wir zeigen! Um die volle Aufmerksamkeit auf unsere, zugegebenermaßen
mehr als dämliche Spielweise zu bekommen, senden wir noch ein freundliches
FISH! oder NO SKILL? hinterher. Wir haben uns somit nicht nur als
schlechter Spieler geoutet, sondern auch die Angriffslust der anderen
auf uns geweckt. Mit großer Sicherheit werden wir in den folgenden
Runden stärker auf einen Bluff gesetzt werden, als wenn wir diesen
Move nicht getätigt hätten.
3. Mein erster Tag als Pokerspieler
Eine weitere Waffe kommt vornehmlich in Head's-up-Games zur Anwendung.
Mit dem Platznehmen beginnt das Spielchen. Ich begrüße den Gegner.
Am besten mit einem naiven "hi". Dann spielen wir einige Runden, ist
keine gute Hand dabei, dann immer FOLD. Irgendwann schreibe ich,
dass es mein erster Tag als Pokerspieler ist und dass ich mich sehr
freue, hier spielen zu können (je naiver es klingt, umso besser).
Zudem schreibe ich zu jeder gewonnenen Hand meine Jubelzeile, etwa
so "yeeeessssss" und bei jedem Verlust ein tieftrauriges "noooooooo".
Die Absicht bei der ganzen Geschichte ist, den Gegner von meiner
Unerfahrenheit und Unfähigkeit anzustacheln. Auch nach dem 2-3
Pre-Flop-Raise des Gegners frage ich nach, ob dies überhaupt
erlaubt sei und lasse mir im Laufe der ersten Runden einige
Regeln erklären. Ist das Image dann stabil genug, schalte ich
auf super-agressive. Der Spielstil sollte dabei jedoch nicht zu
schnell für den Gegner offensichtlich werden, ein paar
Anfängerbemerkungen helfen meist und lassen den Gegner im
Glauben, dass die Gewinne von meiner Seite zufällig waren und hier
ein dicker Fish ausgenommen werden kann. Wenn der dann selbst immer
mehr Chips wandern lässt, wird er entweder seinen Verlust begrenzen
und gehen oder nochmals Geld nachschießen. Hier ist jedoch Vorsicht
geboten, da es auch vorkommt, solche gereizten Spieler dann mit einer
absoluten Lucky-Hand zu erwischen und man gibt eine eigene starke Hand
und die Gewinne wieder ab. Meist sucht er danach schnell das Weite
und wir sind die Dummen!
4. Raise auf Stackgröße des Gegeners
Vor allen bei SnG-Turnieren hat man als Chipleader eine vortreffliche
Situation auf kleine Stacks. Kommt man am 10er-Tisch als Vierter ins
Ziel, so ist es, als wäre man als erster rausgeflogen, nur dass dieser
eine halbe Stunde Zeit gespart hat. Als großer Stack sollte man daher
die Chance wahren und kleine Stacks attackieren. Eine bewährte
Spielweise ist dabei das genaue Setzen des gegnerischen Stacks, was
ihm nur noch die Wahl zum CALL oder FOLD lässt. Bei der Entscheidung
des Mitgehens muss seine Hand wirklich gut sein, beim FOLD hat er
seine Situation nur noch verschlechtert.
Beispiel: 10er SnG noch vier Spieler, drei Plätze werden bezahlt
Blinds 50/100
SB 2140
BB 860
1(wir) 6000
B 1000
Wir halten 88 und sitzen direkt hinter dem BB. Von dort machen wir ein
Raise auf 300, der Button und SB folden, der BB callt. Im Flop kommt 2 5 J.
Der BB checkt zu uns. Eine typische Situation in der man als Chipleader
die Chance hat, die Geldplätze abzusichern. Ich setze hier 561 (genau
einen Chip mehr als der BB noch im Stack hat). Wenn er nichts hat wird er
folden. Mein 8er-Päarchen ist an dieser Stelle gut genug für die All-in-Entscheidung
mit ihm und wird im schlimmsten Fall seinen Stack verdoppeln, was mir
jedoch noch keine wirklichen Bedenken machen kann.
5. Call me, please!!
Eine Waffe im Bluff-Spiel ist die Aufforderung zum CALL. Habe ich nichts,
mein Blatt jedoch stark gespielt und setze dabei meinen Gegner (höchstens Einer)
auf eine schlechtere Hand, welche jedoch nicht die Bestmögliche ist, wende
ich gelegentlich diesen Spielzug an. Von Vorteil ist die späte Position,
aus der ich ein eventuelles CHECK als Schwäche lesen kann. Aber auch ein
einfaches CALL nach Raise/Re-Raise bei Turn und River lässt mich meist zu
dem Schluss kommen, dass der Gegner seine Hand als maximal durchschnittlich
ansieht. Ich schreibe das "CALL PLEASE" schon vorher in die Chatzeile und
platziere dazu fast immer genau seine Stackgröße (plus/ minus einem Chip
oder Cent). Die Reaktion ist dabei im Verhältnis 80%-FOLD zu 20%-CALL.
Beim SnG würde ich zudem die Hand zeigen, da der Spielzug meist nur einmal
funktioniert, bzw. beim zweiten Versuch dann die Hand wirklich als Nut oder
2nd-Best-Hand gespielt werden muss, also so keinen Bluff mehr darstellt.
Die Gegner sind somit auf jeden Fall schon gewarnt, dass mein Spiel
variabel und nicht berechenbar ist. Im Verhältnis 4 zu 1 gewinne ich also
den Pot, was die Spielweise profitabel gestalten sollte. Der Hinweis des
(Total)Verlusts muss an dieser Stelle allerdings auch erfolgen.
Wenden Sie diese Finte also nicht zu oft an und bleiben Sie variabel.
Ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist der richtige Zeitpunkt und der Ort Ihres Pokersspiels.
Hier finden Sie wichtige strategische Hinweise "Wann und Wo Sie Pokern sollten"